"Weiße Nächte in Murmansk", Allradler, nr 1/10
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Weiße Nächte in Murmansk
Seit 2003 organisiert der polnische Reiseveranstalter Mariusz Rewoda Offroadtouren von Sankt Peterburg über die russische Republik Karelien und die Kola-Halbinsel zur Hafenstadt Murmansk. Die spärlich besiedelte Region zwischen Ostsee und Weißem Meer mit ihren ausgedehnten Tundra- und Taigalandschaften zählt zu den am wenigsten besuchten Ecken Europas. Unberührte Natur, abenteurliche Pisten und russische Gastfreundschaft erwarten die Besucher in dieser abgelegenen Gegend rund um den Polarkeis.
      Gegen 5 Uhr nachmittags brechen wir von Sankt Petersburg nach Westen, Richtung finnische Grenze auf, um den Ladogasee von seiner westlichen, wilderen Seite zu umfahren. "Wir" das ist eine bunt zusammen gewürfelte Reisegruppe mit 8 Jeeps unterschiedlichster Herstellertypen. Unser Reiseziel ist die russische Hafenstadt Murmansk, am nordöstlichen Zipfel der skandinavischen Halbinsel.
      Alle sind voller Vorfreude auf die erste wilde Übernachtung in der Taiga. Die abendliche Dämmerung zieht sich ins Unendliche - ein erster Vorbote der weißen Nächte, die uns im Norden erwarten. Am Ufer eines Waldsees machen wir unseren ersten Stopp. Im See und am Ufer ragen aus dem Boden verstreute, riesige Felsenblöcke heraus. Der Wald hüllt uns in völliger Stille sanft ein. In der Nähe gibt es nur eine Schotterstraße, und das nächste Dorf liegt weit entfernt. Das Wasser im kleinen See ähnelt im Farbton einem französischen Edel-Cognac, überall ist Torfmoor zu sehen. Es quaken die Enten, manchmal ist ein platschender Fisch zu hören.
      Am Morgen setzen wir unsere Fahrt in Richtung Melnikovo fort. Bereits nach wenigen Kilometern stoßen wir auf eine kleine orthodoxe Kirche, errichtet in der Mitte des Sees auf einer kleinen Felsinsel, die nur schwimmend oder mit einer kleinen Fähre zu erreichen ist. Wir kommen nur recht langsam voran. Die mit Kleinschotter aufgeschüttete Straße hat sich in eine üble Waschbrettpiste verwandelt. Ab und zu schalte ich in den 2. Gang herunter, damit die Aufhängung nicht in Resonanz gerät. Jureks solider Benz überholt mich inmitten einer Staubwolke. Pawe³ prescht ebenfalls vorwärts, was sich jedoch rächen sollte. Am nächsten Tag erwartet ihn eine böse Überraschung: fast alle Stoßdämpfer seines Mitsubishi sind abgerissen. Über eine solch harte Waschbrettstraße können nur robuste LKWs, wie russische Urals, Gang zügig vorankommen. Ihre Räder sind größer und fallen nicht in die Vertiefungen zwischen Mulden.
      Der Anblick der verstreuten kleinen Dörfer erinnert an vergangene Zeiten, als die Gegend noch unter finnischer Herrschaft stand. Entlang der Piste treffen wir auf dunkelrot oder blau gestrichene Holzhäuser mit Steildächern, die mit geschnittenen Holzbrettelementen verziert sind. Deutlich sichtbar ist auch, dass Russland auf der Suche nach seinen Glaubenswurzeln ist: In zahlreichen Dörfern wurden die orthodoxen Kirchen, die in der kommunistischen Ära zerfielen, wieder im traditionellen Baustil - mit wuchtigen Holzbohlen - aufgebaut. Die Bewohner der Dörfer scheinen geradewegs alten russischen Märchen entstiegen zu sein. Wir begegnen Babuschkas mit gebundenen Kopftüchern und Männer mit gebräunten Gesichtern in blaugestreiften Unterhemden. Mit ihren slawischen Gesichtszügen und der weißen Haut wirken manche Mädchen in Spitzenkleidern wie mittelalterliche Prinzessin.
      Wir kommen in Sortavala an. Die ehemalige finnische Provinzhauptstadt ist heute ein populäres Reiseziel für Touristen aus Finnland. Andere ausländische Besucher verirren sich in diesen Winkel der Welt kaum, denn touristische Attraktionen sind dünn gesät. Auf dem Markt kosten wir gelbe Brombeeren, die charakteristisch für skandinavische Regionen sind. Aus ihnen wird ein dicker Fruchtlikör mit einem für uns fremdartig anmutenden Geschmack gemacht. Auf dem Hauptplatz erinnert ein Denkmal an einen örtlichen Helden. In der Nähe vom Hafen am Ladogasee bewundern wir sowjetische Gedenkmosaiken an den Wänden der grauen Plattenbauten. Das örtliche Museum zeigt einige traurige Aufnahmen aus den "guten, alten Zeiten", als die Menschen sich mit Feuer und Planierraupen ihren Weg durch die Taiga bahnten.
      Nicht weit von hier liegt der Grenzübergang Vartisila, wir aber biegen in eine Asphaltstraße Richtung Osten, die sich an den hohen, steinigen Ufern des Ladogasees entlang schlängelt. Nur hier kann man einen Blick auf den riesigen tiefblauen See erhaschen, ansonsten ist die Aussicht durch dichte Wälder und Hügel versperrt. Wir halten an und machen Ufer eine Mittagspause.
      Seit Beginn unserer Fahrt haben wir uns nur mit Flusswasser gewaschen und jede Nacht fernab der Zivilisation, mitten im Wald, übernachtet. Unsere Mahlzeiten bestehen aus den örtlichen Produkten, die wir in kleinen Dorfläden, auf Märkten oder direkt vom Bauer kaufen. Wir fangen schon an, uns wie Waldmenschen zu fühlen.
      In Ljaskelji passieren wir über eine hohe Brücke den stürmischen Janisjoki-Fluss. In ihm sammelt bräunliches Wasser aus zahlreichen Seen, das wirbelnd über weiße Steine in den Ladogasee fließt. Noch ein kurzer Tankstopp und dann geht es wieder hinein in die Wildnis. Ab jetzt erwarten uns nur noch Schotterstraßen, Schlamm und Flüsse ohne Brücken. Stundenlang zieht die Taigalandschaft mit kleinen Bäumen und grünen Sträuchern an uns vorüber. In diesem Klima mit seinen kurzen Vegetationsperioden und sumpfigen Böden können keine größeren Bäume wachsen. Dies ist stellt uns eine besondere Herausforderung dar: denn sollte sich jemand auf einem sumpfigen Waldweg festfahren, wird es problematisch, große Stämme zwecks Befestigung von Seilwinden für die Bergung zu finden.
      Wir erreichen das Dörfchen Alammu, in dem eine mächtige orthodoxe Holzkirche steht. Im Inneren streicht eine junge Frau die Wände neu an. In jeder Ecke des achteckigen Raumes steht ein Kachelofen, der etwa zwölf Metern bis zur Decke emporragt. Die zwei Knirpse vor dem Eingang unterbrechen ihr Ballspiel um mit großen Augen die vielen Geländewagen aus Westen zu bestaunen.
      Auf der Weiterfahrt rauschen unzählige Waldseen an den Wagenfenstern vorbei. Manche lassen sich im tiefen Gehölz nur erahnen, andere dagegen erstrecken sich mit sumpfigem Ried bewachsen weit in die Wälder hinein. Am Uksijarwi-See schlagen wir unser Lager für die heutige Nacht auf. Obwohl der Strand hier breit und sandig ist, kommen Badefreuden angesichts der eisigen Wassertemperaturen nicht auf. Wir setzen uns gemeinsam ans Feuer und machen Wasser für unsere Lagerdusche warm. Während Pawe³ eifrig russische Landkarten, die er in Sortavala erstanden hat, in den Ozi-Explorer einscannt, versucht Piotrek mehr oder weniger erfolgreich, Fische zu überlisten. Man hört sie ab und zu im Wasser platschen; der Fang fällt jedoch äußerst bescheiden aus, so dass wir auf unseren mitgeführten Proviant zurückgreifen müssen. Wolken, angestrahlt durch die nach Mitternacht untergehende Sonne, hüllen die Taiga sanft ein. Die Fichten am gegenüberliegenden Ufer spiegeln sich auf der Oberfläche des bräunlichen Sumpfwassers. Der Duft nasser Nadeln und eine durchdringende Stille legen sich friedlich über die Geländewagen mitten in der Wildnis von Karelien.
      Am nächsten Tag kämpfen wir uns über 300 km Schotterstrassen vorbei an malerisch gelegenen Dörfern. Einen Kontrast der besonderen Art bildet das Städtchen Suojarwi. Die tristen Plattenbausiedlungen laden nicht gerade zum Zwischenstopp ein. Die örtliche Holzindustriewerke, russisch Leschoz genannt, mussten ihren Betrieb schon zu Zeiten der Perestroika einstellen. Damit war der finanzielle Niedergang dieser trostlosen Siedlung besiegelt, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat. Die noch verbliebene Bevölkerung lebt am Existenzminimum und wir können kaum nachvollziehen, wie die Leute über die Runden kommen. Während man sich auf dem Land noch irgendwie - sei es durch Eigenversorgung - ernähren kann, tritt in den Städten die Armut offen zu Tage.
      Wir fliehen vor der grauen Realität des tristen Suojarwi zurück in die Taiga. Dort treffen wir einige Männer beim Dynamitfischen. Sie kümmern sich offensichtlich nicht darum, wie lange es noch Fische geben wird, das einzige, was für sie zählt, ist heute. Gleichzeitig sind sie voller Stolz auf ihr Land. Man weiß jedoch nicht, ob es auf die achtzigjährige kommunistische Propaganda, auf fehlende Informationen über die Außenwelt oder aber auf eine wahre Heimatliebe zurückzuführen ist.
      Die Waschbrettpiste endet gerade rechtzeitig, denn unsere Abenteuerlust ist für heute schon gebührend strapaziert worden. Von nun geht es endlich auf Asphalt weiter. Die Straße ist zwar mit Schlaglöchern übersäht, aber immerhin kommen wir jetzt deutlich schneller voran und erreichen bald Medvezhegorsk. Jetzt treffen wir auf unsere eigentliche Zielregion - die Halbinsel Kola. An einer Tankstelle füllen wir nochmals unsere Treibstoffvorräte auf, denn je weiter nördlich man kommt, umso spärlicher wird die Versorgung. Interessanterweise muss man in Russland bereits vor dem Tanken die gewünschte Liter-Menge angeben, d.h. hier sind kalkulatorische Fähigkeiten gefordert.
      Weiter geht es auf der Hauptstrasse M18 Richtung Murmansk. Es wird schon langsam Abend und wir wollen noch eine Übernachtungsstelle an einem See erreichen, die wir von unseren früheren Touren kennen. Um dorthin zu gelangen, muss man sich 4 km durch die Taiga über eine abenteuerliche Nebenstrasse quälen. Kein einfaches Unterfangen, denn der Weg ist zudem noch durch umgefallenes Gehölz versperrt. Die Fahrspur führt durch einige tiefe Wasserläufe, welche nur über provisorische, von den Einheimischen zusammen gezimmerte Brücken aus schlüpfrigen und wackeligen Bohlen, passiert werden können. Bei der Überquerung ist viel Fingerspitzengefühl geboten.
      Dennoch erreichen alle nach einigen Mühen unbeschadet den Rastplatz. Ich erinnere mich nur zu gut, wie wir hier letztes Jahr von Schwärmen von Kriebelmücken attackiert wurden. Die winzigen Quälgeister drangen unter jedes Moskitonetz ein und nur Insektenspiralen konnten eine einigermaßen wirksame Abhilfe schaffen. Nach einem Stich entstand eine juckende, rötliche Quaddel, die Tage brauchte bis sie wieder abschwoll.
      Die Sonne zaubert ein außergewöhnliches Lichtspiel in den vermeintlichen "Nachthimmel". In dieser Jahreszeit geht auf diesen Breitengraden die Sonne nie unter, dafür gibt es in der zweiten Jahreshälfte kaum Tageslicht. Rote, rosarote und orangefarbige Wolken spiegeln sich im bräunlichen Seewasser wider. Noch nicht einmal der Wind ist zu hören, das Klopfen des eigenen Herzens ist das einzige Geräusch, was ich vernehmen kann. Mit Shampoo in der Hand schlurfe ich an den nahe gelegenen See. Auch wenn das Wasser kalt ist, entferne ich mich ein ganzes Stück vom Ufer, damit ich mir ohne lästige Angriffe der Kriebelmücken, die eher Kurzstreckenjäger sind, meine Haare waschen kann. Kein Wunder, dass Russen das Angeln vom Boot bevorzugen.
      Am Morgen fahren wir über die marode Piste zur Hauptstraße zurück und rasen über welligen Asphalt Richtung Norden. Die Landschaft um uns herum beginnt sich schnell zu ändern. Wir passieren eine rauere Klimazone, in der die Taiga allmählich in sumpfige Tundra übergeht. So weit das Auge reicht, ist hohes Gras zu sehen, unter dem blaues Wasser in der Sonne flimmert.
      Dieses wilde, unzugängliche Mix aus Land und Wasser zieht uns völlig in seinen Bann. Damit die ansässige Bevölkerung nicht gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten ist, werden für den Bau von Verkehrwegen Unmengen an Kies aufgeschüttet, deren Straßendecken aus quer gelegten Schwellen bestehen. Über 500 Kilometern legen wir auf diesen Wegen zurück und bis wir endlich den Polarkreis erreichen. Die Luft ist schneidend kalt, obwohl die Sonne hoch am Himmel steht.
      Am Morgen beginnt für uns ein neuer Reiseabschnitt. Wir fahren eine malerisch gelegene Asphaltstrasse an der Küste des Weißen Meeres entlang. Es umgeben uns Kieferwälder auf Sandbänken. 100 Kilometer später erreichen wir in die Küstenstadt Umba, an deren Holzhäusern der Zahn der Zeit bereits kräftig genagt hat. Alle drei Jahre findet hier ein folkloristisches Festival statt, auf dem allerdings nur die Folklore der russischen Zuwanderer vorgeführt wird. Die Volksgruppe der Samen (Saami), die in dieser Region ursprünglich beheimatet sind, wurden im Laufe der Vergangenheit in unzugänglichere Gebiete der Halbinsel Kola zurückgedrängt und leben dort weitestgehend isoliert. Sie haben sogar ihre eigene Hauptstadt namens Lovoziero.
      Richtung Norden geht es über die einzige Verbindungspiste durch das Landesinnere weiter zur Industriestadt Apatity. Während kommunistischer Zeiten sorgten Armee und die Mitarbeiter von Leschozen dafür, dass sich die Straße in einem recht guten Zustand befand. Heutzutage ist die 120 km lange Fahrstrecke eine abenteuerliche Piste, um die sich keiner mehr zu kümmern scheint: fast alle Brücken sind weggespült und der verbliebene Schotterbelag ist nur etwas für ganz Hartgesottene.
      Zahlreiche Dörfer, die fast ausschließlich von den Leschozen lebten, sind inzwischen verlassen, da die unrentablen staatlichen Betriebe geschlossen wurden. Überall eingestürzte Häuser, es herrscht Grabesstille. Selbst die hiesigen Gulags, russische Straf- und Arbeitslager, wurden aufgegeben und zerfielen. Wir tauchen in eine Atem beraubend schöne, verwilderte Tundralandschaft ein. Keine Menschenseele über mehrere hundert Kilometer, nur unheimliche Stille inmitten schier grenzenloser Natur. Kleinere Pisten enden im Nichts oder führen zu verlassenen Dörfern. Wir versinken langsam im unendlichen Reich von grünen Zwergkiefern, grauen Felsen, üppigem Moos und unzähligen Bächen.
      Zahlreiche Flussquerungen lassen den Adrenalinpegel unserer Reisegruppe steigen. Es wird geknipst und gefilmt und alle Fahrer albern aufgeregt herum, wie Kinder auf dem Schulhof während der großen Pause. Als wir uns aber Stunde um Stunde mühsam weiterarbeiten und immer noch weit und breit nur Flüsse und Sümpfe zu sehen sind, macht sich allmählich Erschöpfung breit. Unser Übernachtungsplatz liegt noch weit vor uns und die Gleichförmigkeit der Landschaft lullt die Beifahrer ein.
      Gegen Abend kommen wir endlich im gottverlassenen Dorf Muna an. Obwohl es bereits 22.00 Uhr ist, steht die Sonne aber noch recht hoch am Himmel. Platz für eine Übernachtung gibt es genug. Wir stoppen an einer altersschwachen Brücke, unter der sich ein Bach durch eine trockene Wiese schlängelt. Die Reisegruppe ist hungrig und müde, alle brauchen dringend Erholung nach den Strapazen des harten Offroadritts. Doch sofort starten der hinterhältigen Kriebelmücken ihre blutigen Angriffe. Die Viecher greifen gnadenlos in solchen Schwärmen an, dass es auch trotz chemischer Keulen und Moskitonetzen kaum auszuhalten ist. Angeblich hat man früher die Todesstrafe vollzogen, indem die Gefangenen nackt einen ganzen Tag am Zaun festgebunden wurden und sie den Insekten überlies. Das eine derartige grausame Exekutionsmethode funktioniert, steht für uns heute Abend außer Frage.
      Am nächsten Morgen sieht man den Gesichtern eine unruhige Nacht an. Da vor uns aber noch einige mühsame Off-Road-Passagen liegen, brechen wir zügig auf. Die Landschaft ändert sich erneut. An Stelle von Sümpfen treten Gesteinstrümmer und Sanddünen. Der Bewuchs mit Kiefern nimmt zu und die Luft ist weniger dumpf und stehend. Wir passieren das einzige bewohnte Dorf auf dieser Route - Severnyj Munozero, welches den meisten Bewohnern nur noch als Sommerresidenz dient. Jetzt sind nur noch ein paar tückische Passagen zu meistern und dann haben wir es geschafft: die Zivilisation hat uns wieder.
      Wie aus dem Nichts taucht eine breite Strasse auf, die von zahlreichen Bussen, welche die Arbeiter zum nahegelegenen Nickel- und Apatitbergwerk bringen, frequentiert wird. Der Kontrast von der Abgeschiedenheit der Naturlandschaft zu dem Industriegebiet, in das wir geraten sind, könnte größer nicht sein: Abgase aus Fabrikschornsteinen, unzählige gleichförmige Wohnblocks, ein Durcheinander von Stahlrohren, Fabrikhallen und gestreiften Fabrikschornsteinen macht sich vor uns breit. Wir begegnen einem Paradebeispiel russischer Industrialisierung, dem jegliche Form von Umweltstandards oder sonstigen Normen völlig fremd sind. Was hier inmitten der grauen stinkenden Abgase unter Ohren betäubendem Lärm produziert wird, zeigt, wie weit die Menschheit von globalem Denken bzw. Umweltschutz entfernt ist. Es sind Katalysator-Bauteile für den westeuropäischen Markt, die die Emission von schädlichen Abgasen zu verringern sollen. Wir fliehen an einen stillen See, weit weg von diesem Inferno, um noch eine letzte Nacht in der einsamen Tundra verbringen zu können. Zum Glück ist es windig, so dass wir diesmal von blutrünstigen Mücken verschont bleiben. Am nächsten Tag geht es Richtung Nord nach Murmansk, dem Endziel unserer Tour.
      Das "Kapstadt des Nordens" hat wenig mit dem südlichen Pendant gemein: graue triste Wohlblocks prägen das Stadtbild. Auf den breiten Straßen schieben sich alte Ladas und klapprige Oberleitungsbusse neben nagelneuen Land Cruisern, schweren Mercedes und dicken Rolls-Royce durch den dichten Verkehr. Die Hafenstadt an der Barentssee hat für den Touristen nicht wirklich viel zu bieten.
      Wir halten am 'Aljoscha-Denkmal', einem monumentalen Bauwerk von ca. 40 m Höhe, das den Verteidigern der Polarregion gewidmet ist. Hier trennen sich unsere Wege. Die meisten Teilnehmer fahren weiter ans Nordkap, andere kehren durch Finnland nach Hause zurück. Ich fahre zurück nach Sankt Petersburg, um eine neue Reisegruppe in Empfang zu nehmen. Der Abschied fällt allen sehr schwer. Auf den Abenteuern der letzten zwei Wochen sind wir zu einem eingespielten Team zusammengewachsen. Ich erinnere mich noch genau an eine Verkäuferin in einem Laden in der Nähe von Sankt Petersburg, die mich nach unserem Reiseziel fragte. Als sie erfuhr, dass wir den weiten Weg bis nach Murmansk zurücklegen wollten, konnte sie ihr Erstaunen nicht verbergen und fragte mich: 'Und das macht ihr freiwillig?"'

Mariusz Reweda

Allgemeines
Karelien und die Kola Halbinsel befinden sich äußersten Nordwesten Russlands unweit der finnischen Grenze. An der Nordspitze dieser Region liegt weit hinter dem Polarkreis die strategisch bedeutende Stadt Murmansk, deren Hafen dank das Golfstroms das ganze Jahr eisfrei ist. Als Reisezeit kommen nur die Monate Juni bis September in Frage, da im restlichen Jahr mit unangenehmen Temperaturen um und weit unter dem Gefrierpunkt zu rechnen ist. Die günstigsten Verhältnisse trifft man in der Regel im Juni an, denn später haben die Mücken Hochkonjunktur oder - dies gilt insbesondere für den August - ist mit zahlreichen Niederschlägen zu rechnen. Ein weiteres und zugleich unvergessliches Highlight bietet der Juni mit seinen weißen Nächten, die Zeit in der die Sonne nie untergeht.
Anreise
Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten nach St. Peterburg zu kommen:
a) die gesamte Strecke über Land; von Köln über Polen und die baltischen Republiken sind rund 2.300 km bis St. Petersburg zurückzulegen. Daher ist es überlegenswert, zumindest eine Strecke mit der Fähre zurückzulegen.
b) Fähre von Lübeck direkt nach St. Petersburg. Dies ist die teuerste aber auch entspannteste Variante. Einmal pro Woche verkehrt ein Schiff, bei dem man je nach Kabinenart pro Person hin und zurück 500 bis 800 € veranschlagen muss. Das Fahrzeug schlägt mit rund 500 Euro zu buche (http://www2.finnlines.com/index.php/passenger_ger/preise).
c) Deutlich günstiger ist die Fähre von Travemünde nach Helsinki. rund 400 € pro Person und 300 für Fahrzeug sind für Hin- und Rückfahrt einzukalkulieren (http://www2.finnlines.com/index.php/passenger_ger/preise).
Die Fahrtstrecke von Helsinki nach St. Petersburg beträgt knapp 400 km auf durchweg guten Straßen.
Wir nehmen die erste Variante und reisen über Lettland nach Russland ein. Eine Anreise mit der Fähre nach St. Petersburg (auch über Helsinki) ist nach Absprache möglich.
Dokumente und Einreisebestimmungen
Für die Einreise nach Russland ist immer noch ein Reisepass und ein Touristenvisum erforderlich, welches vorab in Deutschland beantragt werden muss. Zudem muss die Bestätigung der Buchung eines Hotels von einem dazu bevollmächtigten Reisebüro bzw. vom Hotel selbst vorliegen. Um Zeit und Arbeit zu sparen schaltet man daher am besten einen Visa-Service ein.
Straßenverhältnisse und Benzinversorgung
Viele Straßen sind im schlechten Zustand, mit zahlreichen Schlaglöschern und tiefe Spurrillen muss ständig gerechnet werden. Zudem sind zahlreiche waghalsige LKW-Fahrer unterwegs, die sich nicht von den Radarkontrollen der russischen Polizei schocken lassen.
Auf den Hauptstraßen stellt die Benzinversorgung kein Problem dar, auch die Qualität des Kraftstoffs ist in Ordnung. Selbst in abgelegeneren Gebieten findet sich immer mal wieder eine Tankstelle, häufig noch aus Sowjetzeiten. Diese haben den besonderen Charme, dass man erst zahlt und dann tankt. Das Benzin bzw. der Diesel sprudelt dann so lange, bis die bezahlte Menge verbraucht ist. Wer sich verkalkuliert, muss zusehen, wie das kostbare Nass auf den Boden plätschert.
Gesundheit
Die hygienischen Verhältnisse entsprechen zwar nicht westeuropäischem Standard, jedoch sind dank der klimatischen Bedingungen in der Regel keine größeren Komplikationen zu erwarten. Die medizinische Versorgung ist den Städten ist passabel. Auf Grund der dünnen Besiedlung, kann der nächste Arzt bzw. das nächste Krankenhaus jedoch weit entfernt sein. Somit sollte man ein gut sortiertes Erste-Hilfe-Set mitführen.
Unterkunft und Verpflegung
Hotels finden sich eigentlich nur in größeren Ortschaften. Auf unseren geführten Touren steuern wir landschaftlich schöne Plätze an, auf den wir "wild campen" - im Auto oder im Zelt. "Wildes Campen" ist in Russland nicht nur erlaubt, sondern auch sehr populär. Wer sich zum fischen oder jagen in die Natur begibt zeltet in der Regel auch.
Eine Grundversorgung mit Lebensmittel ist nahezu überall gewährleistet. Häufig werden entlang der Straßen von den Einheimischen Brot, Butter, Gemüse und andere Dinge angeboten, die sie selbst hergestellt bzw. angebaut haben. Man sollte sich nicht entgehen lassen, die leckeren baltischen Heringe zu probieren. Diese bekommt man in fast jedem Straßenrestaurant, dort gibt es in der Regel auch eine breite Auswahl an Piroggen - Teigtaschen mit diversen Füllungen, von herzhaft bis süß.
Unsere Tour
Jedes Jahr organisieren wir zweiwöchige geführte Touren von Gruppen bis zu 8 4WDs. Start und Ziel der Tour ist lettisch-russische Grenze.
Einige Etappen führen zwar über Asphaltstraßen aber immer wenn es geht und die zeit es zulässt, bewegen wir uns über Pisten. Insbesondere auf der Kola-Halbinsel haben wir harte Off-Roadetappen im Programm. Unsere nächste Tour startet im Juni 2010. Details hierzu finden Sie auf unsere Website www.kilometr.com oder schreiben sie eine E-Mail an:
info@kilometr.com oder unseren Partner in Deutschland; E-Mail: markuskorb@gmx.de.
Literatur/Karten
Das Angebot an Reiseführern für Russland außerhalb Moskaus und St. Petersburg ist sehr dürftig. Regionale Reiseführer für die hier beschrieben Zielregion gibt es nicht. Daher muss man mit folgenden Publikationen vorlieb nehmen:
Simon Richmond u.a. (2009); Russia, Lonely Planet Publications, ISBN: 978-1-74104-722-6, 17,95EUR (nur in Englisch erhältlich, der Zielregion Karelien und Kola-Halbinsel widmet der sehr zu empfehlende Reiseführer rund 30 Seiten).
Veronika Wengert (1. Auflage 2009) Baedeker Allianz Reiseführer Russland Europäischer Teil ISBN: 978-3-8297-1173-9; 25,95EUR
Über St. Petersburg gibt es an breites Angebot an Reiseführern z.B.
Funk, Christian; Sintschenko, Aglaya (1. Auflage 2008), St. Petersburg, Reise-Know-How Verlag; ISBN: 978-3-8317-1676-0, 12,80EUR
Kartentipps:
Reise Know How (2008); Russland West; 1 : 2.000.000; ISBN 978-382-791-862-8, 8,90EUR
Genimap Finnland, Karelien 1:800.000, ISBN: 978-951-593-806-0; 20.90EUR
Sowjetischen Generalstabskarten 1 : 100.000 oder 1 : 200.00 können z.B. bei Därr bestellt werden (www.daerr.de)
GPS-Karten zum download für Garmingeräte findet man unter:
http://mapcenter2.cgpsmapper.com/catalogue.php
http://gpsmapsearch.com/?l=de


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